Die Angst vorm Nachbarn –

Die Quedlinburger Landwehr

Oliver Schlegel (März 2006)


Wer eine Mauer baut hat Angst – diese Angst war berechtigt, denn das Mittelalter kannte noch keine staatliche Zentralgewalt und für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung war man in großem Umfange auf eigene Initiative angewiesen. Dies trieb die mittelalterlichen Städte zum Bau und Unterhalt eigener Grenzbefestigungen - den Landwehren - die von einem Frühwarnsystem - den Feldwarten - unterstützt wurden. Auch Quedlinburg betrieb solche aufwendigen Anlagen, denn seine Feldfluren lagen z.T. weitab der Stadt. Im Süden reichten die Felder bis an den Harzrand, dessen tiefe Täler und dichte Wälder potentiellen Angreifern sichere Deckung boten.

 

Dabei darf man sich die Landwehren nicht als echte Befestigungen im eigentlichen Sinne vorstellen: Es galt, die auf den Feldern arbeitenden Bürger, die unbefestigten Dörfer, das weidende Vieh, die Feldfrüchte und Bodenschätze vor räuberischen Überfällen der Nachbarn zu schützen. Das Mittelalter war gezeichnet von privaten Fehden, sozialer Not und Missernten, die die Nachbarn oft genug ein begehrliches Auge auf den Besitz des Anderen werfen ließ. Für diese Zwecke reichten kleinere Erdwallanlagen mit vorgelagerten Gräben sowie dicht gepflanzte und verflochtene, dornige Hecken, die zusätzlich mit ausgerodeten Baumwurzeln verstärkt wurden, sogenannte „Gebücke“. Diese Anlagen waren für Eindringlinge kein großes Hindernis, sie stellten auch keine Verteidigungslinie im eigentlichen Sinne dar, an der militärische Konflikte ausgetragen wurden. Ihr Zweck erfüllte sich beim Übertritt kleiner räuberischer Banden, die sich mit Gewalt fremdes Eigentum aneignen wollten: Diese konnten die Landwehren mit etwas Mühe und auch häufig unbemerkt überwinden. Der darauf folgende räuberische Akt oder Überfall wurde dann aber sicher von den Feldwarten beobachtet und sogleich über Signalketten an die bewaffneten und berittenen städtischen Büttel in Quedlinburg gemeldet. Diese nahmen alsbald die Verfolgung der Räuber auf.

 

Hier greift nun das System Landwehr: Die nun mit Beute, mit Vieh und Wagen beladenen Räuber waren zu schwerfällig, um die Landwehr zu überwinden. Die Verfolger hatten somit gute Chancen, die Räuber zu stellen. Die Quedlinburger Landwehr umschloß die gesamte städtische Feldflur und hatte die stattliche Länge von rund 42 km. Innerhalb dieses System bestanden im Mittelalter mehrere dörfliche Siedlungen von z.T. sehr beachtlicher Größe: Die Siedlungen Marsleben und Groß Orden hatten beinahe frühstädtischen Charakter, die dörflichen Siedlungen Groß- und Klein-Sallersleben, Ballersleben, Klein-Orden, Knüppelrode, Sülten sowie Tekendorf haben eines gemeinsam: Sie überlebten die Wirren des Spätmittelalters nicht und wurden verlassen. Der Fachmann spricht in diesem Zusammenhang von Wüstungen. Lediglich der Ort Ditfurt hat innerhalb der Quedlinburger Feldflur seine Existenz bis heute wahren können.